Das Referat für kritische Wissenschaften und Antidiskriminierung des AStA freut sich auch dieses Semester die Ringvorlesung „Alternativen Denken“ wieder anbieten zu können.
Wir möchten mit der Ringvorlesung Themen ansprechen, Fragen aufwerfen und Gedanken anregen, die in den sonstigen universitären Veranstaltungen nicht behandelt werden.
Wir wollen zusammen mit euch Themen sprichwörtlich in ein Säurebad der Kritik werfen und sind gespannt, was das Säurebad mit den Themen und uns macht.
Wir freuen uns, dich bei allen oder auch einzelnen Veranstaltungen der Ringvorlesung dabei zu haben.
Alle Veranstaltungen finden Donnerstags von 17.45- 19.15 Uhr in Hörsaal XVIII des Hauptgebäudes statt.
18. Oktober 2012 – Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft
In seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts (GPhR 1820/1821) oft kurz als „Rechtsphilosophie“ bezeichnet, dem zentralen Text seiner politischen Philosophie, behandelt Hegel in einem Dreischritt zuerst das „abstrakte Recht“, dann die „Moralität“ und schließlich die „Sittlichkeit“. Der letztgenannte und umfangreichste Abschnitt, die „Sittlichkeit“, ist wiederum in drei Teile gegliedert: die „bürgerliche Gesellschaft“ (GPhR, §§ 182-256), welcher sich dieser Vortrag widmet, steht im Rahmen dessen, was Hegel „Sittlichkeit“ nennt, in der Mitte zwischen der „Familie“ (§§ 158-181) und dem „Staat“ (§§ 257-360).
Schon von den zeitgenössischen Lesern ist wahrgenommen worden, dass Hegels Ausführungen über die „bürgerliche Gesellschaft“ einen der innovativsten Teile seines ganzen Werkes bilden. Dies nicht nur, weil er darin bereits wichtige Ergebnisse der damals noch jungen Wissenschaft der Nationalökonomie einfließen ließ und verarbeitet hat. Auch nicht nur weil er darin die „bürgerliche Gesellschaft“ als ein spezifisches Phänomen der Moderne versteht und zu deuten in der Lage ist. Letztlich beruht die Innovationskraft seiner Lehre darauf, dass er schon damals, als die geschichtliche Entfaltung der „bürgerlichen Gesellschaft“, zumindest in den deutschsprachigen Territorien, noch an ihrem Anfang stand, deren innere Probleme und Schranken theoretisch zu antizipieren wusste und zumindest nach Lösungen der Aporien suchte – dass seine Lösungsvorschläge keine Allheilmittel für das 21. Jahrhundert sein können, die einfach nur angewendet werden bräuchten, dürfte klar sein.
Hegel erkannte die „ungeheure Macht“ (GPhR, § 238 Zusatz) der „bürgerlichen Gesellschaft“, die „den Menschen an sich reißt“ und ihrer spezifischen Wirkungsweise zu unterwerfen sucht. Zum Beispiel thematisierte er schon, wie die „bürgerliche Gesellschaft“ mit ihrem Egoismus in die Intimität der Liebe einzudringen sucht. Er sah auch deutlich, dass die „bürgerliche Gesellschaft [… gerade] in ungehinderter Wirksamkeit“ (GPhR § 243) soziale Polarisierung und Armut erzeugt. Doch ist die „bürgerliche Gesellschaft“ für ihn weder Endpunkt noch unabwendbare Bestimmung : seine ganze Rechtsphilosophie ist vielmehr „aus dem einen Metalle der Freiheit errichtet“, wie sein zeitgenössischer Herausgeber, Eduard Gans (1797-1839), der bald danach einer der wichtigsten Berliner Lehrer von Marx werden sollte, es programmatisch aussprach.
Prof. Dr. Norbert Waszek, Universität Paris VIII
Homepage: http://norbertwaszek.free.fr/index.php?lang=de
Zum Nachhören: Vortrag Norbert Waszek Part 1 (und Part 2)
25. Oktober 2012 – Kritik am Extremismusbegriff
„Extremismus“ – Ein kritischer Blick auf die Geschichte und Aktualität eines umstrittenen Begriffs
Um den Extremismus-Begriff wird schon seit langem leidenschaftlich gestritten. Aus der Perspektive der Inlandsgeheimdienste, aber auch anderer Behörden erscheint der Begriff unverzichtbar, werden doch all jene politische Gruppierungen und Einzelpersonen als „extremistisch“ deklariert, die sich gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ richten. Das Extremismus-Modell sortiert die Gesellschaft somit nach vermeintlich eindeutigen Kategorien. In eine demokratische „Mitte“ sowie in extremistische „Ränder“. Sowohl in den Sozialwissenschaften als auch unter zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich beispielsweise gegen Neonazis engagieren, gibt es jedoch massive Kritik am Extremismus-Begriff. Dieser trage dazu bei, Rassismus, Antisemitismus und andere Ungleichwertigkeitsvorstellungen in der „Mitte der Gesellschaft“ zu verschleiern. Zudem diene das Verdikt des „Extremismus“ dazu, emanzipatorische Strömungen und AkteurInnen zu diskreditieren. Demnach sei das Extremismus-Modell vor allem ein politisches Herrschaftsinstrument.
In dem Vortrag werden die Entstehungsbedingungen, die politischen Konjunkturen und die aktuellen Anwendungsbereiche der Extremismustheorie skizziert. Ebenso sollen aus kritischer Perspektive, die mit dem Extremismus-Begriff verknüpften Demokratie- und Gesellschaftsvorstellungen dargestellt werden. Zu diskutieren sind aber auch mögliche begriffliche und demokratietheoretische Alternativen zum Extremismus-Modell.
Michael Sturm, mobile Beratung gegen Rassismus im Regierungsbezirk Münster
Zum Nachhören: Michael Sturm (Part 1) (Diskussion)
15. November 2012- White Charity: Rassismuskritische Perspektiven auf die Arbeit entwicklungspolitischer NGO
Was haben Entwicklungszusammenarbeit und Rassismus miteinander zu tun? Dieser Frage soll v.a. in Bezug auf die Arbeit entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen (NGO) nachgegangen werden. Nach kurzer theoretischen Einführung werden Fragen auf verschiedenen Ebenen von entwicklungspolitischer NGO-Praxis diskutiert. (z.B. Welches Verhältnis besteht zu Partnerorganisationen im Globalen Süden? Oder auf welche Inhalte wird in der Bildungsarbeit in Deutschland eingegangen?) Der Schwerpunkt des Abends wird auf der Frage liegen, inwiefern Rassismus durch die Reproduktion von Stereotypen in Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit der NGO aufrechterhalten und manifestiert wird. Der Film White Charity (D, 2011, 48min) wird in der Vorlesung gezeigt und bildet die gemeinsame Diskussionsgrundlage.
Im Anschluss wird der Film White Charity in voller Länge gezeigt.
Timo Kiesel, Berlin (glokal e.V.) http://www.whitecharity.de und http://www.glokal.org
22. November 2012- Weißsein und Schwarzsein in Deutschland oder „Welche Farbe hat die Nation?“
In Deutschland haben die in den USA entwickelten Ansätze der Critical Whiteness Studies lange keine Rolle gespielt, sondern wurden als für unsere Gesellschaft nicht relevant angesehen. Tatsächlich machen sich bei uns die wenigstens, die zur Weißen Mehrheit gehören, jemals Gedanken über das eigene Weißsein. Deutschsein wird meist sogar mit Weißsein gleichgesetzt. Die Kategorie „Rasse“ ist damit bei uns politisch, kulturell und gesellschaftlich immer noch bedeutsam. Weißsein ist nicht nur ein historisch gewachsenes Konstrukt, sondern eine nach wie vor wirkmächtige Strukturierungskategorie.
Prof. Dr. Marianne Bechhaus-Gerst, Professorin an der Uni zu Köln
Zum Vortrag: Bechhaus-Gerst(zugeschnitten)
29. November 2012- Feminismus und Kritische Theorie
Odysseus, Penelope und He-Man – Kritische Theorie zu Subjektkonstitution und Geschlecht
Wenn man von der Kritischen Theorie spricht, kommen autoritärer Charakter, Dialektik der Aufklärung und Kulturindustrie in den Sinn. Dass sich die Kritische Theorie auch mit dem Geschlechterverhältnis befasst hat, wird dabei gerne übersehen. Im Vortrag soll gezeigt werden, inwiefern ‚Geschlecht‘ in den Überlegungen der Kritischen Theorie zur Konstitution des bürgerlichen Subjektes eine Rolle spielen. Gleichzeitig wird argumentiert, dass deren Ansatz in Zeiten wie diesen, in denen der Begriff Feminismus für wenig mehr steht als die Forderung nach Frauenquoten, wichtige Impulse für eine gesellschaftskritische (Neu-)Bestimmung von Feminismus setzen kann.
Barbara Umrath ist Mitarbeiterin am Zentrum für LehrerInnenbildung der Uni Köln. Sie arbeitet an einer Promotion zu Kritischer Theorie und Geschlecht.
Zum Nachören: Feminismus und Kritische Theorie (zugeschnitten)
6. Dezember 2012- Polyamorie: Liebe jenseits der Paarbeziehung?
„Auch wenn viele Lebensgewohnheiten im Laufe der letzten Jahrzehnte tiefgreifende Wandlungen durchlaufen haben, blieb ein Bereich von all diesen Turbulenzen doch erstaunlich unberührt: der Bereich der Liebe. So konnte sich die traditionelle Zweierbeziehung weiterhin als kaum hinterfragte Normalität behaupten und erscheint auch heute noch fast wie ein Naturgesetz. Dass es aber möglich ist Liebesbeziehungen aufzubauen, die aus mehr als zwei Personen bestehen, ist der Ansatzpunkt einer Strömung namens Polyamorie. Der Vortrag fragt nach dem hierbei zugrundeliegenden Konzept von Liebe, stellt Charakteristika polyamoröser Beziehungspraxis dar und thematisiert die Implikationen dieser innovativen Lebens- und Liebesform für verschiedene Wissenschaftsfelder.“
Christina Vetter (Diplom-Pädagogin und Sexualpädagogin)
10. Januar 2013- Was ist Faschismus? Analyse einer bürgerlichen Bewegung
Ist Faschismus die Pöbelherrschaft von Nazi-Proleten, oder „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“? Weder noch. Schon während der 30er Jahre erkannten Theoretiker wie Otto Bauer, wie sich der Mittelstand von seiner liberalen Tradition löste. So stellten z.B. in Universitätsstädten Studenten nahezu den gesamten faschistischen Kader. Neuer Leitwert wurde der metaphysische Begriff „Imperium“, d.h. individuelle und kollektive Macht als wahrer Sinn des menschlichen Lebens.
Prof. Dr. Ulrich Schöler, Otto-Suhr-Institut FU Berlin